Die „Flüchtlingspaten“ organisieren eine legale Flucht: Sie kümmern sich um Visa, buchen Flüge, organisieren Sprachkurse, Wohnungen, und die Eingliederung in Deutschland. Sie übernehmen praktisch alle staatlichen Leistungen – ein Leben lang und auf eigenes Risiko.

Majd und seine Familie am Flughafen © Flüchtlingspaten Syrien
Majd und seine Familie am Flughafen © Flüchtlingspaten Syrien

Mit zitternden Knien kommt Ulrich Karpenstein aus der Berliner Ausländerbehörde. Der Anwalt hat gerade eine Verpflichtungserklärung für zwei Syrer abgegeben. Im Extremfall haftet Karpenstein nun sein Leben lang für ihren Unterhalt. Um eine junge Mutter auf legalem Weg aus dem von Bürgerkrieg und IS-Terror zerrütteten Land zu ihrem Bruder nach Deutschland zu holen, hat er sich bereiterklärt, dem Staat alle Kosten für ihren Aufenthalt abzunehmen.

Der Anwalt wirkt gestresst aber voller Tatendrang. „Unsere Flüchtlingsinitiative beschäftigt uns rund um die Uhr“, sagt er, während er die Bürotür aufschließt und gleichzeitig mit einem Kollegen telefoniert. Im März gründete Karpenstein mit einem Mitstreiter den Verein „Flüchtlingspaten Syrien„. Damit soll das finanzielle Risiko auf möglichst viele Freiwillige verteilt werden. Der Verein sucht Menschen, die Verpflichtungserklärungen übernehmen oder mit Spenden zum Lebensunterhalt der Familien beitragen.

Die „Flüchtlingspaten“ organisieren eine legale Flucht: Sie kümmern sich um Visa, buchen Flüge, organisieren Sprachkurse, Wohnungen, und die Eingliederung in Deutschland – alles ohne einen Cent aus staatlicher Hand. „Für unsere Flüchtlinge erbringen wir praktisch alle staatlichen Leistungen“, beschreibt Karpenstein die Lage.

Auch Majd versuchte alles, um seine Familie aus Syrien rauszuholen. Nach allem, was er schon erlebt hat, wirkt der junge Mann deutlich älter als er mit seinen 21 Jahren ist. Drei Brüder und seine Mutter haben sich bei Verwandten in Syrien durchgeschlagen. Der Vater sitzt seit Monaten im Gefängnis. Niemand weiß, wieso. Im vergangenen Oktober ist der Tourismusmanagement-Student nach Deutschland gekommen. Über das Internet hat er sich die deutsche Sprache beigebracht.

Majd hat ein Foto von einem seiner kleinen Brüder bei sich. Er sitzt in einem völlig zerstörten Raum auf dem Boden, in der Decke klafft ein großes Loch. Das Haus wurde bombardiert. Woandershin können die Verwandten nicht. „Ich habe immer Angst um sie, jeden Tag, jede Stunde und jede Minute“, sagt Majd. Durch den syrischen Bürgerkrieg sind nach Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte seit 2011 mehr als 200.000 Menschen getötet worden. So auch Majds Zwillingsbruder, der bei einem Bombenangriff bei der Arbeit in einem Friseursalon umkam.

Majd selbst hat nach monatelanger Flucht vom syrischen Damaskus über den Libanon, Algerien, Tunesien und Libyen die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer gewagt. Rund 3.500 Menschen sind im vergangenen Jahr dabei ertrunken. In Potsdam suchte der Student einen Verpflichtungsgeber für seine Familie, doch kaum jemand erklärt sich dazu bereit. Mit Hilfe der „Flüchtlingspaten“ hat Majd mittlerweile jemanden gefunden.

„Das ist ein lebenslanges Risiko“, erklärt Karpenstein. Denn die Verpflichtungserklärung ist in den meisten Bundesländern Ost- und Süddeutschlands weder zeitlich, noch in ihrer Höhe begrenzt und gilt unwiderruflich. Die Kosten für den Unterhalt, aber auch für unerwartete Krankheitsfälle und die Bewältigung von Kriegstraumata muss der Verpflichtungsgeber aus eigener Tasche zahlen. Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg kritisiert, dass damit viele Betroffene in den finanziellen Ruin getrieben werden. Gerade für geflüchtete Kinder sind Helfer wie Karpenstein rechtlich gesehen länger verantwortlich, als für die eigene Familie.

In Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Bremen und Hessen werden Verpflichtungsgeber – was Ländermittel angeht – aus der Vereinbarung entlassen, wenn der geflüchteten Person ein Asylstatus zugesprochen wird. „Die Haftung aus der Verpflichtungserklärung darf nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag andauern“, fordert der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger. Auch Karpenstein kämpft für eine Beschränkung.

Für Majds Familie ist der Traum von einer legalen Flucht vergangene Woche Wirklichkeit geworden. Am Flughafen in Berlin konnten seine Mutter und ihre Söhne ihm nach einem Jahr Trennung wieder in die Arme fallen. Die „Flüchtlingspaten“ bieten nun Sprachkurse für sie an, suchen Kita-Plätze und Schulen. Majd möchte weiter studieren und seiner Familie ein neues Leben aufbauen. (epd/mig)

Quelle: MIGAZIN, www.migazin.de